Anfang der 1970er-Jahre stellt sich eine engagierte Truppe von Bürgern verschiedener Alters- und Bildungsschichten mutig gegen die Stadt Wien, um die Wiener Lobau angesichts verheerender Bauprojekte vor der Zerstörung zu bewahren und unter Naturschutz zu stellen.
Einer dieser Bürger war der 1953 geborene Josef Hadrigan. Sein Engagement ist heute beinahe vergessen. Und doch trug er maßgeblich dazu bei, Politik und Gesellschaft von der Schönheit und Schutzwürdigkeit dieser Landschaft zu überzeugen. 2011 verstirbt er nach langer Krankheit im Alter von 58 Jahren. Sein Nachlass befindet sich in Gewahrsam des Vereins „Lobaumuseum“ sowie des Forst- und Landwirtschaftsbetriebes der Stadt Wien.
Hadrigan ist um die zwanzig Jahre alt, als er im Rahmen der Bürgerinitiative „Lobau darf nicht sterben“ bei jeder Witterung im Auwald fotografiert, obendrein wortgewandt und akribisch Texte verfasst, Veranstaltungen mitorganisiert und damit beginnt, öffentliche Dia-Vorträge zu halten. Die Donau-Auen und ihre Tierwelt sind sein wichtigster Lebensinhalt, die Fotografie ist sein wichtigstes Ausdrucksmittel – womit er sich damals in bester Gesellschaft befindet:
Denn in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre stammen praktisch alle Fotos von Wildtieren und Landschaften der österreichischen Donau-Auen aus den Kameras von Franz Antonicek und Norbert Sendor. Die beiden Freunde aus Wien-Erdberg sind Mitte 30 und fotografieren bereits seit mehr als zwanzig Jahren in den Wäldern an der Donau zwischen Wien und der Mündung der March.
Der kaum 20jährige Josef Hadrigan will es ihnen gleichtun – als Dritter Mann. Er glüht vor Begeisterung und nimmt vieles auf sich, um seine 17 Jahre älteren Vorbilder einzuholen.
Hadrigans Witwe Maria erinnert sich: „Pepis in den Donau-Auen verbrachten Stunden und gegangenen Kilometer sind ungezählt, zu allen Jahreszeiten, zu allen Tages- und Nachtzeiten, an trockenen Tagen und bei Überschwemmungen.“
Er selbst schreibt im Oktober 1973: „Es gibt nichts, was mich mehr fasziniert und erfüllt als diese Tätigkeit.“
Norbert Sendor hat Josef Hadrigan noch gut im Gedächtnis: „Das war ein intelligenter Mann. Er hat sich aber nicht an mir orientiert, sondern vorwiegend an Franz Antonicek. Ihm wollte er nacheifern. Antonicek war ihm durchaus wohlgesonnen und hat einmal sogar versucht, ihm eine Stelle als Beamter zu verschaffen – was aber leider nicht gelungen ist.“
Je mehr Erfahrung Josef Hadrigan sammelt, und je selbstbewusster er wird, umso mehr wagt er es, sich mit Franz Antonicek zu messen. Das gute Verhältnis zwischen den beiden erhält schließlich einen Knacks. Anlass dafür ist ein gewissermaßen einzigartiges Foto eines Seeadlers – und Hadrigans ausgeprägter Sinn für schräge Scherze.
Mitte der 1970er-Jahre sind die Seeadler als Brutvögel in Österreich ausgestorben. Nur eine Handvoll Wintergäste gibt es noch. Wer es schafft, einen von ihnen zu fotografieren, gilt als Meister aller Klassen.
Maria Hadrigan: „Es war der Ehrgeiz damals, ein möglichst schönes Seeadler-Foto zu machen. Und es gab ein einziges Schwarzweiß-Bild, das hat der Antonicek gemacht. Da war eine Landschaft drauf zu sehen und irgendwo im Himmel so ein schwarzer Fleck – das sollte der Seeadler sein. Pepi hat geschworen, dass das kein Vogel, sondern nur ein Dreckfleck ist, was den Franz Antonicek natürlich geärgert hat. Und dann haben sie gestritten.“
Josef „Pepi“ Hadrigan wird am 26. Mai 1953 in Wien geboren und wächst im 22. Gemeindebezirk in der Kagraner Freihof-Siedlung auf. Er besucht das Bundesrealgymnasium Franklinstraße in Wien-Floridsdorf, das er aber im Juni 1970 nach einem negativen Jahresabschluss verlässt. In der Folge erhält er eine Anstellung in der Verwaltung der Gruppe „Landesaufnahme“ des Bundesamts für Eich- und Vermessungswesen.
Im Herbst 1971 beschließt er, die Reifeprüfung doch noch abzulegen und beginnt, Kurse in der Maturaschule Dr. Roland zu besuchen. Um etwas dazuzuverdienen, ist er abends in der Volksoper als Billeteur tätig.
Für die Au bleibt da nur wenig Zeit. Und was die Naturfotos betrifft, haben Antonicek und Sendor ein Monopol, sowohl in den Tageszeitungen wie in fast allen Büchern.
Hadrigan setzt sich nun über das pure Fotografieren hinaus für den Fortbestand der Lobau ein. Als im Jänner 1973 in der Wiener Stadtentwicklungsenquete über deren Zukunft diskutiert wird, sitzt er als Vertreter des Vereins Lobaumuseum (damals „Verband für Umweltschutz und Gesundheitssport“) im Forum und protokolliert. 1974 wird er in den Vorstand des Vereines gewählt.
Als im Frühjahr 1975 das Lobaumuseum eröffnet wird, zeichnet er Orientierungs-Karten, besorgt Luftaufnahmen, verfasst erläuternde Texte, historische Rückblicke und eine Museums-Hausordnung. Er erwirbt Büroartikel und erledigt Botendienste. Im Museum sind nicht nur die Aufnahmen der beiden Altvorderen Antonicek und Sendor zu bewundern, sondern gleichwertig die des jungen Josef Hadrigan. Als „Lobau-Experte und Fotograf“ zieht er nun erstmals mit einem Dia-Vortrag durch die Stadt. Titel: „Die Lobau – Naturparadies inmitten der Großstadt“.
Er schafft es, die Matura nachzuholen, aber dann wird ihm alles zu viel: der Job, der Nebenjob, das Lobaumuseum.
Die Lehrerin Christa Reitermayr, die in den 1980er-Jahren Mitarbeiterin des Lobaumuseums war, entsinnt sich, dass Museumsleiter Anton Klein erwähnt hätte, dass “der Hadrigan wegen seiner Arbeit” nicht mehr mitarbeiten konnte.
Der Botaniker Werner Lazowski, ab 1975 mit dem Lobaumuseum verbunden, ist Josef Hadrigan nur zwei, drei Mal begegnet: „Aber Hadrigan wurde immer wieder erwähnt. Er war ein Begriff und ein Thema. Irgendwann hat Anton Klein dann nicht mehr über ihn gesprochen. Es war eine Art Hassliebe – wie das bei Klein so oft der Fall war.“
1976 lernt Josef seine spätere Gattin Maria kennen, mit der er zwei Söhne und eine Tochter hat und bis zu seinem Tod 33 Jahre verheiratet bleibt.
Das Fotografieren in der Natur lässt ihn trotz Familie nicht ganz los. Er streift weiterhin mit seiner Kamera zwischen Greifenstein und Hainburg umher, dokumentiert die Schönheit und die Zerstörung der Auwälder. Ab Ende der 1980er-Jahre fotografiert und gestaltet er seinen letzten großen Vortrag: „Naturparadies Donauauen“ (März 1993).
Im Begleittext einer Ankündigung schreibt er: „Das Fernweh treibt uns Menschen der Großstadt in immer entlegenere Winkel dieser Erde. Wir haben Heimweh nach der Natur, die wir bei uns zu Hause schon verloren glauben. Dabei liegt sie direkt vor unserer Türe.“
Maria Hadrigan: „Sein gutes Auge, sein feines Gespür für den passenden Ort und den rechten Zeitpunkt, den richtigen Blickwinkel, und viel Geduld und Ausdauer ergaben – schöne Fotos. Seine Begeisterung für die Au ist in den Bildern zu sehen … und war ansteckend.“
2003 wird Josef Hadrigan durch eine schwere Erkrankung in den vorzeitigen Ruhestand gezwungen. Mehr als acht Jahre hat er mit seinem Leiden zu kämpfen. Am 20. Juni 2011 muss er seine Familie und seine geliebten Auen für immer verlassen.
Fotos: Nachlass Josef Hadrigan (Familienarchiv), Archiv Lobaumuseum